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Lesen im Gras

BÜCHERTIPPS

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Aenne und ihre Brüder Buchfoto für Rezension

„Aenne und ihre Brüder – Die Geschichte meiner Mutter“ von Reinhold Beckmann

Die Geschichte beginnt 1921 mit der Geburt von Anna Maria Haber, genannt Aenne in Wellingholzhausen, einem Dorf am Rande des Teuteburger Waldes. Sie ist das vierte Kind der Familie und endlich ein Mädchen.

Die Mutter stirbt 13 Monate nach der Geburt, wahrscheinlich an TBC. Vier Jahre später folgt ihr auch der Vater, der nochmal geheiratet hat. So dass die Stiefmutter das Kommando in der Familie übernimmt.

Sie wird in eine Zeit hineingeboren, wo die Folgen des ersten Weltkriegs den Menschen noch buchstäblich in den Knochen liegen. Deutschland leidet schwer unter den Reparationszahlungen an die Siegermächte und die neue Demokratie wird misstrauisch beäugt. 

Aenne hat ihrem Sohn Reinhold Beckmann immer viel von der Vergangenheit erzählt. Von ihrem Leben in der Weimarer Zeit und auch über den Aufstieg der Nazis.

Kurz vor ihrem Tod hat sie ihm einen Schuhkarton voller Briefe vermacht. Feldpostbriefe der im 2. Weltkrieg gefallenen Brüder.

Reinhold Beckmann hat daraus, aus den Erzählungen der Mutter und dem parallel verlaufenden geschichtlichen Hintergrund einen tollen Zeitzeugenroman verfasst. Sehr gut recherchiert mit der Beschreibung des Dorflebens, den lokalen Nachrichten und der gesamtdeutschen Politik.

Mit dem Aufstieg der Nazis bessern sich die Lebensverhältnisse der Dorfbewohner erstmals seit langem, denn Deutschland erlebt ein kleines Wirtschaftswunder, es gibt wieder Vollbeschäftigung. Selbst manche SPD und KPD Wähler werden jetzt Anhänger der NSDAP. Aennes Stiefvater lässt jetzt nach der morgendlichen Rasur ein Lippenbärtchen stehen. Die Abschaffung der Demokratie, die Eingriffe ins Schulsystem und die Repressalien gegen anders Denkenden betrifft die dörfliche Lebensweise nur am Rande.

Auch mit dem Beginn des Krieges herrscht auf Grund der Siege erstmal Jubel, doch dann beginnt der Russlandfeldzug und der Leser kann an Hand der Feldpostbriefe hautnah miterleben, wie aus der anfänglichen Euphorie blankes Entsetzen wird. 

Die Reihenfolge der geschichtlichen Ereignisse ist mir noch nie so klar geworden, wie nach diesem Roman, aber durch die Familiengeschichten ist es kein trockener Geschichtsroman geworden, sondern ein lebendiges Zeitzeugnis.

G. Tuschy